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No.01  bis  No.05

 

No. 01 – „Shooting the messenger“ – Umgang mit dem Boten schlechter Nachrichten

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Bedeutung (‚für sich‘)

Wenn die ‚gegnerische’ Argumentation eine unliebsame Wahrheit (bzw. Feststellung) darstellt, ist diese ‚Ansicht’ minderwertig/bösartig und der Bote schlechter Nachrichten (d.i. schlechter Ansichten) ist ebenfalls minderwertig/bösartig.

Der Zweck ist: eine unerwünschte, wenn auch begründete (objektive) Sichtweise, die nicht ins (offizielle) Konzept passt, wird zusammen mit dem Träger (dem ‚Boten’) dieser Ansicht ‚neutralisiert‘.

Ein weiterer Zweck ist, dass statt objektiv denkender Leute, Jasager, Arschkriecher und Schleimscheißer zum Zug kommen sollen.

 

Haltlosigkeit (‚an sich‘)

Verstößt gegen die Pragma-Dialektik ‚Freedom Rule‘: Uneingeschränktes Recht, Meinungen zu äußern. Der Sprecher darf nicht gehindert werden, Standpunkte vorzubringen oder Standpunkte des Meinungs-Kontrahenten anzuzweifeln.

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1. Beispiel

Prof. Walter Soyka und andere wurden an der Bremer Universität nicht mehr weiter angestellt

nachdem sie 1975 ein kritisches Buch zu den Gefahren von Atomkraftwerken veröffentlichten. (Sie hatten offenbar die falschen ‚Ansichten’.)

(Quelle: Vortrag zur Ehrung von Walter Soyka

www.strahlentelex.de/Stx_02_374_S04-08.pdf)

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2. Beispiel

Der ‚Zwang’ zum Rücktritt des Bundestagspräsidenten Jenninger kurz nach seiner angeblich skandalösen Rede 1988

 

(anlässlich 50 Jahre seit der ‚Reichskristallnacht‘ 1938). Das Hohe Haus konnte zum einen Teil (Grüne Oppositionelle beispielsweise) nicht zwischen Darstellung (z.B. Zitate) und persönlicher Meinung Jenningers unterscheiden, einem anderen Teil der Abgeordneten (Parteikollegen von der CDU beispielsweise) passte vermutlich die Darstellung als solche nicht ins nationalistische Konzept. Für letztere war Jenninger der Bote schlechter Nachrichten.

3. Beispiel

Es geht in diesem Beispiel um den deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Stalin ignorierte alle vorherigen Warnungen.

Lloyd Clark schreibt dazu in dem offenbar gut recherchierten Buch „Kursk: The Greatest Battle(Ebook by HEADLINE PUBLISHING GROUP in 2013, S. 75/76): <Unwilling to face the awful truth that he had placed the Soviet Union in a supremely vulnerable position [mit der Annektion der ostpolnischen Gebiete 1939; Anm.Verf.] , Stalin rejected intelligence [Geheimdienstberichte] that strongly suggested an imminent [baldig] German attack. A German Communist spy in Tokyo, Richard Sorge, confirmed his frequent warnings with an invasion date of 20 June.

In diesem Zusammenhang findet sich auch die Darstellung von Golikov, des Nachfolgers der vor ihm erschossenen Boten der schlechten Nachricht, als Schleimscheißer:

Meanwhile, Head of Soviet Military Intelligence Lieutenant-General Filip Golikov, fearful of providing reports that ran contrary to what Stalin wanted to hear (for several of his predecessors had been shot for their explicit warnings) reported at the end of March: „The majority of the intelligence reports which indicate the likelihood of war with the Soviet Union in spring 1941 emerge from Anglo-American sources, the immediate purpose of which is undoubtedly to seek the worsening of relations between the USSR and Germany.“

M.a.W. die Boten schlechter Nachrichten wurden schlicht & einfach erschossen. Unter Stalin kam es auf ein Menschenleben mehr oder weniger nicht an. Insofern war er voll & ganz orientalischer Despot.

Thus [dementsprechend] threats [Bedrohungen] were deemed [erachtet] ‘imagined’ [eingebildet] or ‘exaggerated’ [übertrieben] and Golikov dismissed [abweisen] Sorge’s intelligence [Geheimdienstberichte] in a sentence: ‘We doubt the veracity [Richtigkeit] of your information.’ Consequently, in a fit of [in einem Anfall von] remarkable optimism, Stalin chose to believe that the obvious [offenkundig] German military build-up [Aufbau, Vorbereitung]– together with more than 300 high-altitude [Höhenflug] reconnaissance [Auskundschaftung] aircraft sorties [Feindflüge] over Soviet territory – was an attempt by Hitler to extract more economic and political concessions out of him.

Clark, Lloyd. Kursk: The Greatest Battle (S.76). Headline. Kindle-Version.

 

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No. 02 - Datenverdünnung - (zum Zwecke von Abfälschen, Verharmlosen, Ungeschehen machen, Ablenken)

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Bedeutung (‚für sich‘)

Eine aufdeckende Argumentation oder Information soll gewissermaßen entschärft werden. Es handelt sich um eine Abwehr-Reaktion bei gleichzeitigem Werfen von Nebelbomben.

Haltlosigkeit (‚an sich‘)

Man hat hier einen Sophismus (Scheingrund) vorliegen. Lt. Aristoteles geht es dabei um Tricks, mit denen die Regierenden ihre Absichten verschleiern, um den nicht an der Macht beteiligten Teil der Bürgerschaft zu übervorteilen. (Wikipedia)

 

1. Beispiel

 

Die Vorgehensweise des Sozialministeriums war offensichtlich auf Datenverdünnung ausgerichtet

und bezog sich nur auf die kindliche Leukämiemortalität im Zeitraum von 1968 bis 1977. Die Quintessenz der Erhebung war, dass die Leukämiemortalität in Niedersachsen in diesem Zeitraum nicht angestiegen sei.“ (Quelle: Vortrag zur Ehrung von Walter Soyka www.strahlentelex.de/Stx_02_374_S04-08.pdf

2. Beispiel

Und noch etwas ist merkwürdig an der Auseinandersetzung um den Fall Freud:

in keiner der Rezensionen werden die interessanten Quellenfunde des Autors diskutiert, geschweige denn die Schlussfolgerungen, die er daraus für die Qualität der wissenschaftlichen Argumente Freuds ableitet. Statt dessen wird die fachliche wie menschliche Qualität des Autors analysiert.“ (Es handelt sich hier um die Fallacy Argumentum ad hominem).

(Zitat aus der Kurzdarstellung von Busse zu Han Israels: Der Fall Freud. Die Geburt der Psychoanalyse aus der Lüge. Aus dem Niederländischen von Gerd Busse. Europäische Verlagsanstalt Hamburg, Holländisch 1993, dt. 1999. - Die Kurzdarstellung findet sich unter: http://ppfi.de/buchbesp/israels.htm

3. Beispiel

Ein anderes Statistik-Beispiel

(ähnlich wie das obige 1. Beispiel) berichtet DER SPIEGEL 35/2015, S. 9 unter der Überschrift „Umwelt – Nitratbelastung soll geschönt werden“:

<Deutschland will mehr Messstellen des Bodens einrichten – allerdings nicht, um die Umweltbelastung genauer zu erfassen, sondern um ohne weitere Maßnahmen die durchschnittliche Nitratbelastung für die Statistik zu senken. Dies geht aus einem internen Vorschlag der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser hervor. Darin wird empfohlen, die Anzahl der Messstellen in Deutschland von 162 auf 700 zu erhöhen, und zwar vor allem außerhalb jener landwirtschaftlichen Gebiete, die aufgrund intensiver Düngung der Felder besonders belastet sind. Der Trick würde die Durchschnittswerte deutlich verbessern, wie eine Berechnung der Arbeitsgemeinschaft am Beispiel Niedersachsens zeigt.>

 

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No. 03 - Falsche Identifizierung – mit Hilfe von Äquivokation oder angeblicher Ähnlichkeit eine Sache schlecht machen oder eine fragwürdige Sache positiv erscheinen lassen

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Bedeutung (‚für sich‘)

Mit dieser Argumentation wird der Zweck verfolgt, etwas Gutes in einen Topf zu werfen mit was Schlechtem, um sodann beides als gleichartig oder der gleichen Sache zugehörig zu sehen. Das eröffnet zwei Möglichkeiten der informationellen Manipulation: Erstens, man kann eine Sache, die einem nicht in den Kram passt schlecht machen (Beispiele 1 bis 4), zweitens, man kann eine Sache, die einem in den Kram passt zur guten Sache erklären (Beispiel 5).

Haltlosigkeit (‚an sich‘)

Ungerechtfertigte Zuordnung eines Elements zu einer Menge mit definierten Eigenschaften.

In Schopenhauers „Eristischer Dialektik“ (siehe ‚Projekt Gutenberg‘) gibt es speziell den „Kunstgriff 2“: „Die Homonymie benutzen, um die aufgestellte Behauptung auch auf das auszudehnen, was außer dem gleichen Wort wenig oder nichts mit der in Rede stehenden Sache zu tun hat.“ (Also ein gleichlautendes Wort mit unterschiedlichen Bedeutungen verwenden, um etwas Gutes mit etwas Schlechtem in einem Topf zu verrühren – siehe Beispiel 3 „Sekte“ und Beispiel 5 „Flüchtling“).

Karl Jaspers zu Äquivokationen: „Irrtum entsteht, wenn mit demselben Wort verschiedenes gemeint wird. (…) so daß bei gleichbleibendem Worte in der Tat ein ganz anderer Sinn entsteht. Die Vieldeutigkeit der Worte ist der Grund täuschender Verschiebungen des Sinns (…).“ [In Karl Jaspers: Was ist Philosophie? Ein Lesebuch, dtv München 1980, S.316 – Aus: Von der Wahrheit, München 1947; Die Sprache].

Natürlich reicht auch schon die angebliche Ähnlichkeit, um eine Angelegenheit, Personen oder Organisationen als schlecht oder gefährlich  zu diskreditieren: wie z.B. beim Sozialistengesetz 1878 (siehe unten, 4. Beispiel), wo Reichskanzler Bismarck den Trick benutzte, die revolutionäre SPD mit revolutionären anarchistischen Sprengstoff-Attentätern in einen Topf zu werfen, um die anwachsende SPD zu verbieten.

 

1.Beispiel

 

Hitler (Sportpalast 10.02.1933):

14 Jahre herrscht heute diese Partei. 14 Jahre herrscht diese Weltanschauung. Manches Mal vielleicht unverhüllt, manches Mal schamhaft verdeckt. Aber im Kern immer noch der selbe Geist, den Sie tausendfältig überall sehen. Und die Ergebnisse, sie sind grauenhaft. Ich will nicht die Vergangenheit nehmen und mich [1 Wort unverständlich] an dieser Vergangenheit, sondern will nur nehmen diese 15 Jahre, die hinter uns liegen. Angefangen von dem Tage an dem hier in Deutschland der Munitionsstreik ausbrach, übergehend dann endlich zu dem Tage, da die rote Fahne gehißt wurde und die Revolution unser Volk verwirrte...“Dazu ist folgendes zu bemerken: Die Marxisten hatten keineswegs 14 Jahre lang die Macht in der Weimarer Republik - weder in der Politik und erst recht nicht in der Wirtschaft. Indem Hitler die bürgerliche Welt der Weimarer Republik mit den marxistischen Parteien undifferenziert in einen Topf wirft, kann er alle Parteien und politischen Institutionen der Republik durch diesen Argumentationstrick der  falschen Identifizierung - vor seinem fanatischen Anhang scheinbar gerechtfertigt – verbieten. Hitler geht es darum, das demokratische System der Weimarer Republik zu beseitigen, indem er es sozusagen als marxistisch verseucht deklariert. (Weitere Ausführungen finden sich in dem Aufsatz: „Haltlose Hitler-Argumentationen“ von 2007)

[Siehe dazu auch No. 48, Beispiel 3 - Propaganda-Theorie Hitlers]

 

2. Beispiel

 

In einer Scheidungsangelegenheit betonte die Ehefrau bei ihrem Anwalt, die Eltern des Ehemanns gehörten einer „Sekte“ an, weshalb man die Kinder nicht zu ihnen lassen dürfe.

Der Begriff Sekte‘ ist im umgangssprachlichen Gebrauch meist negativ besetzt. Doch ist Sekte nicht gleich Sekte. Die Eltern des Ehemanns gehören einer gutartigen Religionsgemeinschaft an, nämlich der Sai Baba Bewegung. Und diese Eltern sind auch selber gutartig. Dass die Sai Baba Bewegung (obwohl von vielen als ‚Sekte‘ angesehen) offiziell in Indien einen durchaus guten Stand hat, wird beispielsweise durch folgendes deutlich: <Die Regierung des indischen Bundesstaates Andhra Pradesh ordnete eine 4-tägige Staatstrauer von 24. bis 27. April 2011 an und beschloss ein Staatsbegräbnis für Sathya Sai Baba.> Weitere Informationen zur Sai Baba Bewegung siehe Wikipedia.

 

3. Beispiel

 

Rassismusvorwurf beispielsweise im Zusammenhang mit der Kritik am Islamismus

Siehe No. 38: Bestimmte Gruppen als politische Gegner ‚objektivieren‘, Beispiel 3

 

4. Beispiel

 

Sozialistengesetz 1878 (Verbot der SPD durch Bismarck)

Es geht bei diesem Beispiel um die Kämpfe um die Demokratisierung in Europa im 19. Jhdt. Gegen Ende des Jahrhunderts gab es eine teils gewalttätige anarchistische Bewegung. Otto Kirchheimer („Politische Justiz“, USA 1961, Luchterhand 1965 und Europäische Verlagsanstalt 1981, S.202) schreibt dazu:

<In den achtziger und neunziger Jahren (…) hatte es tatsächlich solche Gewaltakte gegeben, auch wenn sie einen geringeren Wirkungskreis hatten, als offiziell behauptet wurde; auch gingen sie nicht von einer gefährlich zentralisierten, weitverbreiteten Bewegung aus, sondern von kleinen isolierten Gruppen. Doch erwies sich der staatliche Zwangs- und Unterdrückungsapparat auch im Hinblick auf anarchistische Terroraktionen nicht als sonderlich wirksam. Allzu große Sorgen machten sich die Organe der Staatsgewalt über die anarchistischen Bomben und Morde überhaupt nicht, und schon gar nicht wollten sie sich mit dem Unterschied zwischen dem weiteren Feld anarchistischer Propaganda und dem sehr engen Bereich der anarchistischen Taten befassen; viel wichtiger war für sie der Anarchist als Kinderschreck. Nachdem eine Atmosphäre der Panik geschaffen worden war, lohnte sich der Versuch, die Sozialisten als verkappte anarchistische Sprengstoffattentäter und Brandstifter hinzustellen und diese Gleichsetzung, wie es Bismarck 1878 [mit dem Sozialistengesetz] getan hatte, zur Rechtfertigung einer antisozialistischen Ausnahmegesetzgebung zu benutzen.>

 

5. Beispiel

Flüchtling = Flüchtling

Das folgende Argument sollte mithelfen, die Merkel-Politik der offenen Grenzen gegenüber Flüchtlingen aus vorwiegend arabischen Ländern, moralisch zu rechtfertigen.

Im Zuge der sog. ‚Flüchtlingskrise‘ ab 2015 in Deutschland wurde öfters argumentiert, dass man ja nach 1945 auch Millionen Flüchtlinge in Deutschland integriert hätte. Dabei wird ignoriert, dass beispielsweise ostdeutsche Flüchtlinge (1945 und danach) mit dem gleichen kulturellen Background und der gleichen Sprache wie die Deutschen in den 4 Besatzungszonen wesentlich leichter in die neue Umgebung integrierbar waren als dies bei der Mehrheit der moslemischen Flüchtlingen aus arabischen Ländern oder Afrika überhaupt Fall der Fall sein kann. Den meisten damaligen deutschsprachigen Flüchtlingen (gleichgültig, ob sie aus Ungarn, Sudetenland, Ostpreußen, Schlesien usw. kamen) war weder die religiöse Tradition in den 4 Besatzungszonen noch das dt. Bildungssystem, das dt. Rechtssystem und die dt. Moral, speziell die Arbeitsmoral, eine fremde Welt. – Es sind also bzgl. Integrationsfähigkeit bei weitem nicht Flüchtlinge = Flüchtlinge, nur weil das gleiche Wort verwendet wird.

 

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No. 04 - Falsche Analogien

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Bedeutung (‚für sich‘)

Dieser Argumentationstrick kann besonders wirkungsvoll sein. Er dient dazu, von der wirklichen Sachlage ein falsches Bild herzustellen.

Haltlosigkeit (‚an sich‘)

Die Analogie vergleicht zwei verschiedene Dinge miteinander, die die gleichen oder einige ähnliche Merkmale haben. Bei einer falschen Analogie handelt es sich um einen ‚hinkenden Vergleich‘, der also im Wesentlichen nicht zutrifft.

 

1. Beispiel

 

Hitler Sportpalast 3.10.1941 (Winterhilfswerk) – aus der Kriegsbegründung gegen Rußland:

„Ich habe deshalb hier auch in dem Augenblick noch geschwiegen, in dem ich mich endgültig entschloss nunmehr selber den ersten Schritt zu tun. Denn wenn ich schon einmal seh, dass ein Gegner das Gewehr allmählich anlegt, dann werde ich nicht warten bis er abzieht, sondern dann bin ich entschlossen, lieber selber vorher abzuziehen.“ [Langer Beifall]. Dies ist der rhetorische Höhepunkt seiner Begründung: das Bild vom Gegner, der ein Gewehr auf mich anlegt. Diese Analogie ist ziemlich schief. Erstens war durch nichts eindeutig klar, dass nach dem Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion 1939, diese nun tatsächlich ein (Kriegs-) Gegner sei. Hierin ist die Analogie fragwürdig. Zweitens bin ‚Ich’ in der Einzahl. Und wenn ich getroffen werde, so bin ich damit ausgeschaltet. Die deutsche Armee ist aber nicht in der Einzahl sondern bestand aus Millionen von Soldaten. Wenn davon etliche durch eine Kriegshandlung getroffen werden, so ist damit noch nicht die gesamte Armee ausgeschaltet. Es bleiben noch eine Menge flexible Möglichkeiten der Defensive, vor allem wenn man so stark ist, wie die deutsche Armee es damals war. Hierin also ist die Analogie falsch.

(Weitere Ausführungen finden sich in meinem Aufsatz: „Haltlose Hitler-Argumentationen“ 2007)

2. Beispiel

 

Im Folgenden geht es um die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933.

Erich Kästner, ein bekannter deutscher Schriftsteller, nimmt in einer Rede am 10. Mai 1958 (also am 25. Jahrestag) vor dem PEN-Zentrum dazu Stellung. Kästner war zu der Zeit Präsident des PEN-Zentrums der BRD.

<Eine Münchener Zeitung [der Völkische Beobachter?] schrieb am 5. Mai 1933: „Die Hinrichtung des Ungeistes wird sich zur selben Stunde in allen Hochschulstädten Deutschlands vollziehen. In einer großen Staffelreportage zwischen 11 und 12 Uhr nachts wird gleichzeitig der Deutschlandsender ihren Verlauf aus sechs Städten, darunter auch München, mitteilen. Schon einmal weihten deutsche Burschen öffentlich vor allem Volk einen Haufen Bücher dem Feuer. Das war vor nunmehr hundert Jahren auf der Wartburg, und die achtundzwanzig Schriften, die der Zorn der Flammen damals ergriff …, waren Werke des Muckertums, der Knechtsgesinnung, von Bütteln, Spießern und Dreigroschenseelen im Sold der Herrschenden hingesudelt … Und heute steht abermals das Gericht über sie auf, und abermals schichtet der deutsche Bursch ihnen das Feuer der Vernichtung.“>

Nun geht Kästner in seiner Rede folgendermaßen auf den hinkenden Vergleich mit der Bücherverbrennung von 1933 ein:

<Die Parallele zum Wartburgfest anno 1817 zu ziehen, zur Verbrennung einiger preußischer Polizeivorschriften sowie etlicher Bände von Kotzebue und eines Autors namens Schmalz, der Vergleich eines Ulks mit der Verbrennung nicht des „deutschen Ungeistes“, sondern des deutschen Geistes, das war eine Frechheit ohne Beispiel. „Die Lüge hat ein kurzes Bein“ [gemeint war der hinkende Reichspropagandaminister Dr. Goebbels], hieß es schon damals. Was hatten denn die Bücher von Heinrich und Thomas Mann, von Döblin und Leonhard Frank, von Werfel und Wassermann, von Brecht und Renn, von Alfred Neumann und Polgar, von Stefan Zweig und Lernet-Holenia, von Heuß und Rathenau, von Sigmund Freud und Lindsay, die Übersetzungen der Bücher von Sinclair, Barbusse und Gorki, von Wells, Jack London, Dos Passos, Hasek, Hemingway und James Joyce mit Muckertum und Knechtsgesinnung und gar mit preußischen Polizeivorschriften zu tun? Die Zahl der Autoren, deren Bücher verbrannt wurden, geht in die Hunderte.> (S. 217/218)

(Quelle: Erich Kästner: „Über das Verbrennen von Büchern“, Jahrbuch für kritische Aufklärung, Gerhard Szczesny (Hg), Club Voltaire I, S. 215-221, Rowohlt Hamburg 1969 (ursprünglich 1963)) . [Achtung: die Rowohlt-Paperbacks zerfleddern. Man muss unbedingt drauf achten, Leinen-Einbände zu kaufen]

3. Beispiel

 

Tellkamp vs. Grünbein bzgl. Flüchtlingsproblem

Bei der VeranstaltungStreitbar! Wie frei sind wir mit unseren Meinungen? [den Titel im Browser bei YouTube eingeben] diskutierten am 8. März 2018 die beiden Schriftsteller Uwe Tellkamp („Charta 2017“) und Durs Grünbein („Aufruf von Tätigen im Literatur- und Kulturbereich“) über die Frage: „Wieviel Meinungsfreiheit halten wir aus?“ im Konzertsaal des Dresdner Kulturpalastes. Moderiert wurde der Abend von Karin Großmann, Chefreporterin der Sächsischen Zeitung.

In der Diskussion ging es um das sog. Flüchtlingsproblems durch den ungehemmten Zuzug kulturfremder Menschen vor allem aus Nahost in die Bundesrepublik. Tellkamp war in Bezug auf bestimmte Probleme gegenüber dieser Zuwanderung sehr kritisch eingestellt, was ihm (nicht zuletzt durch diese Diskussion mit Grünbein 2018) einen Ruf als Rechtsradikaler u.ä. einbrachte, während Grünbein eine eher abwiegelnde Haltung gegenüber dem Flüchtlingsproblem einnahm. Ich zitiere aus dem Video bei YouTube:

1:05:45 Tellkamp: <Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern: über 95 Prozent!>

1:05:59 Grünbein: <So wie, so wie, so wie jetzt (der ah) ist interessant, ich erinner mich [Durcheinanderreden: Tellkamp: „ist ne offizielle Untersuchung, 95 Prozent“…] 1989 als wir auf die Straße gegangen sind, ziemlich am Anfang schon, ich auch, und n paar Leute, die ich gut kenne, und alle, bevor der große Strom kam, ham wir auch so gedacht: aus ner Bürgerrechtsbewegung wird jetzt hier sozusagen ein Konsumstrom, ja? Bis ich soweit war zu sagen: Es hat ja anscheinend jeder doch das Recht (äh), sich in Bewegung zu setzen. Was ich damit sagen will ist: Natürlich konnten wir schon auch im Zuge der Einheit nicht mehr trennen von sozusagen politisch motiviertem Protest oder einfach nur dem Bestreben in dieser anderen Marktwirtschaft aufzugehn, deren Chancen mit zu nutzen. Das ist natürlich auch heute sehr schwierig auseinanderzuhalten; ich hoffe aber – und deshalb denke ich schon, dass wir zum Beispiel ein Einwanderungsgesetz brauchen – wir müssen das differenzieren, gerade weil wir ja die Pflicht haben, aus einer wirklichen echten Bürgerkriegsregion Menschen zu helfen. Also das Problem ist tatsächlich – natürlich in diesem Strom, und ich geh da übrigens auch sehr weit, sehr weit, wenn Sie wollen, ich weiß aber nicht, ob das Rechts oder Links ist.>

Grünbaum sieht, dass da Leute drunter sind, die er nicht primär als schutzbedürftig einzuschätzt. Dafür wäre dann der Staat da, dafür sind Polizeikräfte da. Er hat dann das Argument von den Giftgasangriffen, „Frauen, Kinder, alte Leute“, „dass man denen vorübergehend hilft“ - „das wird ein Ruhmesblatt für dieses Land sein“.

1:08:44 Tellkamp: <Ich glaub, da sind wir ganz beieinander. Niemand, ich glaube wirklich niemand in diesem Land lehnt auch – das muss ich sagen – eine moralische Verpflichtung ab, im Gegenteil, verfolgten Menschen zu helfen, Asyl zu gewähren. Dazu steh ich. Das ist richtig so. Aber (aber), die Probleme die wir haben – und die haben Sie – fangen mit denen an, die nicht verfolgt sind, sondern über sichere Drittstaaten einwandern.> 

Grünbaum hat hier eine interessante Rochade fabriziert. Zunächst ist er in seine 89er DDR-Aktivität eingetaucht, wo dann „sozusagen ein Konsumentenstrom“ den politischen Aufbruch überflügelt. Damit verharmlost er das 95%-Argument von Tellkamp. Zumindest geht er nicht ernsthaft konkret darauf ein. Es handelt sich hier übrigens um eine Variante der Methode des Touch-Turn-Talk (TTT)siehe No.47

Durch den langen Sermon, vor allem den melodramatischen-Giftgas-Schluss, in den Tellkamp voll einstimmt, hat Grünbaum TTT-mäßig die Sache voll im Griff. Natürlich ist klar:  kein humanistisch denkender vernünftiger Mensch hat was gegen echt verfolgte Menschen (so wie beispielsweise, die Juden, die aus Deutschland nach USA emigrieren konnten).

Aber durch diesen langen Sermon von Grünbaum musste Tellkamp die naheliegende Frage unterlassen: „Sie meinen also, dass Deutschland sich ab 2015 mit Syrien wiedervereinigt hat?“

 

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No. 05 - Verzerrte Darstellung von Sachverhalten - sekundäre Sache als Hauptsache;   Einer = Alle;     Scheinbegründung

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Bedeutung (‚für sich‘)

Herstellung von Einseitigkeit zum Zwecke der Indoktrination und Abwehr von Realität. Kann in manchen Fällen mit No.02 (Datenverdünnung) zusammenhängen. Desweiteren mit dem Thema Propaganda No.48.

Haltlosigkeit (‚an sich‘)

Ungerechtfertigte Zuordnung eines Elements zu einer Menge mit definierten Eigenschaften. Sowie Trugschluss der Verallgemeinerung.

 

 

1. Beispiel

Cohn Bendit als Betreuer im Kinderladen – mein Kommentar zu einem Hetzartikel:

„Ich will übrigens gar nicht abstreiten, dass es (einige wenige) solcher Leute mit Ansätzen in der beschriebenen Richtung gegeben hat (etwa Dogmatiker der K2 [= Kommune 2], die diesbezügliche Literatur veröffentlichten, auf die sich der Hetzautor gegen Cohn-Bendit und die antiautoritäre Kindererziehung einseitig bezieht), sowenig, wie ich auf die Idee komme, abstreiten zu wollen, dass es Terroristen und ihre Sympathisanten seit ca. 1970 als relativ geringzahliger Anteil der Studentenbewegung gegeben hat, oder dass es dogmatische K-Gruppen gab. – Aber mit Dogmatikern à la K2 hat man nicht die Masse derjenigen erfaßt, die nun, im Gefolge der Studentenbewegung, sich an neue unautoritäre Erziehungsversuche heranwagten. Und dass Cohn-Bendit zu jenen Dogmatikern à la K2 gehörte, müßte erst mal genauer expliziert werden. Ich persönlich halte dies für unwahrscheinlich.“

(Weitere Ausführungen finden sich in meinem Aufsatz „Ideologiekritische Analyse eines FemDisk-Textes gegen Daniel Cohn-Bendit“)

2. Beispiel

1933: ein antisemitischer Pfarrer aus dem Vogelsberg:

Der jüdische Handel wird immer mehr ausgeschaltet. Infolgedessen fangen viele der Crainfelder Juden an, auszuwandern nach Amerika oder Palästina oder sie tauchen in den Großstädten unter. Wir weinen ihnen keine Träne nach, denn sie haben unserem Volk grenzenloses Unglück gebracht. Hat doch ein einziger Crainfelder Jude, der sich dann im Zuchthaus selbst erhängte, in 30 Jahren etwa 1200 Morgen Bauernland zur Zwangsversteigerung gebracht! Das war nur einer! Trotzdem ist ihnen bei uns nichts geschehen, abgesehen von ein paar zerbrochenen Fensterscheiben + ab und zu einer wohlverdienten Tracht Prügel, wenn einer meinte, im 3. Reich lustig weiter betrügen zu können.“

(Der Vogelsberger Nazi-Pfarrer Mitzenheim 1935 in der Kirchenchronik von Crainfeld. - Quelle: Beilage zum Gießener Anzeiger 16/2011 „Heimat im Bild“ . Carsten Eigner M.A. zum Thema: „Nationalsozialismus im Vogelsberg“, mit der Überschrift: „Mein Platz ist natürlich an der Seite Hitlers“. Gemeint ist Pfr. Mitzenheim.)

3. Beispiel

Im Folgenden geht es um das Kirchen- und Papst-kritische Theaterstück von Rolf Hochhuth „Der Stellvertreter“ (1963).

Hochhuth schreibt 1964:

<Daher hat mein angeblich so erfolgreiches Trauerspiel in Westdeutschland auch keine zehn Inszenierungen erlebt. Es wurde in keinem Theater südlich des Mains und von keinem am Rhein (mit Ausnahme der kleinen Kammerspiele Düsseldorf) inszeniert.> (S. 348). [Anmerkung: Südlich des Mains und am Rhein befinden sich hauptsächlich katholische Gebiete].

Und nun stellt Hochhuth die folgende vorgeschobene Scheinbegründung für die Ablehnung der Aufführungen dar:

<Die offizielle Begründung lautet natürlich – und wer könnte zweifeln an dem, was in den Zeitungen stand –, nicht etwa Angst der Spielleiter vor der Kirche und vor den christdemokratischen Stadtparlamenten, die stets über ihre Anstellungsverträge befinden, habe zur Ablehnung meines Stückes geführt, sondern nur das ganz ungewöhnlich hohe künstlerische Niveau der meisten deutschen Provinzintendanten, deren geistigen Ansprüchen der „Stellvertreter“ <ganz einfach sprachlich und formal nicht genügt>, So war ich noch froh, mit Hilfe des Rowohlt-Verlages wenigstens Regisseure wie Piscator, Schalla, Ingmar Bergmann, Shumlin und Peter Brook für das Stück gefunden zu haben.

So hat ja auch, wie Sie wissen, im April der Russe Alexander Solschenizyn für seinen Roman aus Stalins Konzentrationslagern, „Iwan Denissowitsch“, den Lenin-Preis in letzter Minute dann doch nicht erhalten, weil die „Prawda“ noch rechtzeitig durch Leserbriefe in ihrer Meinung bestärkt wurde, für diesen Preis fehlten dem Buch leider denn doch die literarischen Qualitäten. Wahrhaftig, noch jede Partei hat über genügend geistige Zuhälter verfügt, die ihr auf Bedarf eine ästhetische Argumentation formulierten, hinter der sie ihr Getroffensein in der außerästhetischen Sache mehr oder weniger gut verbergen konnte.> (S. 348/349).

(Rolf Hochhuth: „Offener Brief an Ladislav Mnacko“ in Gerhard Szczesny (Hg.): Club Voltaire II, Jahrbuch für kritische Aufklärung, Rowohlt, Hamburg 1969, S. 345-359). [Achtung: leider fallen die meines Erachtens in vielen Teilen sehr empfehlenswerten Reader als Rowohlt Taschenbücher beim Lesen auseinander. Es gibt aber bis Band III auch Leinenausgaben, z.B. bei booklooker. Band IV gibt es leider nur als zerfleddernde TB-Ausgabe von Rowohlt.]

 

 

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